Vor Kurzem fand in Rotenburg eine Gedenkfeier der jesidischen Gemeinschaft statt. Als Gast konnte ich dabei sein. Es wurde an den Völkermord vor zehn Jahren erinnert. Tausende Jesiden wurden vom IS im Sindschar-Gebirge getötet und versklavt. Die Bilder gingen um die Welt.
Drei Wochen später ist der Rotenburger Scherwan Serement, der Vorsitzende des jesidischen Religionsrats, bei mir zu Gast. Gemeinsam mit dem Pfarrer der katholischen Gemeinde, dem Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde und der Pastorin des ev. Diakonissen-Mutterhauses lassen wir uns über die Lage der Jesiden in Deutschland berichten. Viele der damals nach Deutschland geflüchteten Jesiden leiden noch heute unter dem Erlebten.
Aber wir sprechen auch über den Glauben der Jesiden. Sie bilden eine eigene Religionsgemeinschaft, die seit vielen Jahrhunderten im Orient verbreitet ist. Dabei teilen sie manches mit Muslimen und Christen. Adam und Eva, Noah und Abraham kennen sie. Und in ihren Gebeten werden sogar Jesus und Maria genannt. Jesiden und Christen haben sich im Lauf der Geschichte immer wieder gegenseitig geschützt, wenn sie verfolgt wurden.
Wir fünf sind uns einig, dass jede Form von religiösem Extremismus und Fundamentalismus gefährlich ist und keine Gewalt im Namen der Religion ausgeübt werden darf. Aber vor allem spüren wir, dass jeder durch seinen Glauben an einen Gott, der die Welt geschaffen hat und das Leben in seiner Hand trägt, Halt und Orientierung findet. Und dabei spielt das Gebet eine wichtige Rolle, um den Glauben zu stärken.
Wenn wir den gemeinsamen Austausch fortsetzen, werden wir wahrscheinlich – trotz aller Unterschiede – noch viel mehr Gemeinsamkeiten entdecken. Unsere Begegnung zeigt, wie wichtig das gemeinsame Gespräch ist. Es führt zu gegenseitigem Verständnis und Respekt und beugt Vorurteilen vor. Nicht zuletzt es ist immer ein Gewinn, von den religiösen Erfahrungen anderer Menschen zu hören.
Michael Blömer
Superintendent des ev.-luth. Kirchenkreises Rotenburg